Sabine Hollewedde: Zur Notwendigkeit von Geschichtsphilosophie für Gesellschaftskritik

Datum: 
Donnerstag, 24. April 2025 - 19:00 - 21:00
Ort: 
objekt klein a
Veranstaltet von: 
Referat Politische Bildung

»Nur wenn es anders hätte werden können; wenn die Totalität […] im Anspruch ihrer Absolutheit gebrochen wird, wahrt sich das kritische gesellschaftliche Bewußtsein die Freiheit des Gedankens, einmal könne es anders sein.«
(Adorno, Negative Dialektik)

Das Nachdenken über Gesellschaft ist ohne Reflexion auf die Geschichte nicht möglich, da die gesellschaftlichen Verhältnisse wie die Individuen, die in diesen sich bilden, in der Geschichte stehen. Mit der Aufklärung und dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft wurde Geschichte als Fortschrittsgeschichte gedacht. Subjekt der Geschichte waren allerdings nicht die einzelnen, empirischen Subjekte. Kant formulierte eine ›Naturabsicht‹, welche sich durch die Antagonismen der Menschen hindurch durchsetze. Eine solche ›Naturabsicht‹ steht jedoch im Widerspruch zur Kant’schen Moralphilosophie, wonach allein die vernunftbegabten Subjekte Zwecke setzen und verfolgen können. Dieser Widerspruch – ein theoretisches Problem, das seinen Grund in der Sache hat – scheint mit Hegels Figur des Weltgeistes getilgt zu sein. Nach Hegel ist Geschichte ›Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit‹. Die Hegel’sche Konstruktion des Weltgeistes, der notwendig voranschreite, dabei über die Opfer hinwegfegend, ist nicht zu halten. Solcherart Kritik daran, die Geschichte in bloße Fakten auflösen will und sagt, so etwas wie der Hegel’sche Weltgeist sei ein bloßes Hirngespinst, greift allerdings zu kurz und kann die Einheit der Geschichte nicht begreifen. Diese Einheit ist mit Adorno nicht ein bloß noch zu affirmierender Geist, sondern sie ist gestiftete durch Naturbeherrschung und die Herrschaft über Menschen.
Es soll daher mit Benjamin und Adorno gezeigt werden, warum ein kritischer Begriff von Geschichte auch an metaphysischen Begriffen festhalten muss, will Theorie nicht in die Affirmation der Herrschaft einstimmen: Benjamin formulierte auf die Frage, »in wen sich denn der Geschichtsschreiber des Historismus eigentlich einfühlt«, die Antwort: »unweigerlich in den Sieger«. (Über den Begriff der Geschichte) Eine empiristische, sich ›neutral‹ über den politischen Kämpfen wähnende Geschichtsschreibung ist Ideologie.
Die zentrale These des Vortrages wird sein, dass der Hegel’sche Begriff von Geschichte nicht zu halten ist und dass gleichwohl geschichtsphilosophische Überlegungen notwendig sind, um eine Kritik an der sich perpetuierenden Geschichte von Naturbeherrschung, »fortschreitend in die Herrschaft über Menschen und schließlich über inwendige Natur« (Adorno, Negative Dialektik), formulieren zu können. Das soll anhand einer Darlegung der Geschichtsbegriffe von insbesondere Kant, Hegel, Benjamin und Adorno geschehen.

»Dem historischen Materialisten fällt die Idee des menschenwürdigen Daseins, an der allein die politische Praxis sich zu orientieren vermöchte, weder aus dem leeren Himmel zu, noch entspringt sie ihm aus der Schau eines vermeintlich unzerstörbaren Wesens der Menschen, sie entwächst vielmehr der Geschichte als deren Anderes, vor dem diese zu einer einzigen Katastrophe wird.« (Bulthaup, Parusie)